Tag der gewaltfreien Erziehung am 30. April

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Jetzt trotz Corona-Pandemie Situation der Kinder genau in den Blick nehmen

Der diesjährige Tag der gewaltfreien Erziehung am 30. April findet wie im letzten Jahr wieder in einem Corona-Lockdown statt. Doch während im vergangenen Jahr nur Vermutungen darüber kursierten, was so ein Lockdown für Kinder bedeutet, die im häuslichen Bereich Gewalt ausgesetzt sind, gibt es jetzt Zahlen und Fakten dazu.

Am Kinder- und Jugendtelefon in Stormarn und Lauenburg sind die Anrufe, in denen es um Gewalt geht, im Vergleich zum vergangenen Jahr stark gestiegen. Riefen in 2019 175 Kinder mit Gewalterfahrungen an, die Hilfe benötigten, so waren es 2020 44,6 Prozent mehr, nämlich 253 Kinder. Das heißt, dass an nahezu jedem Tag, an dem das Kinder- und Jugendtelefon erreicht werden konnte, ein Kind oder Jugendlicher anrief, der oder die Hilfe bei Gewalt oder sexueller Gewalt suchte.

Die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik Schleswig-Holsteins zur Gewalt gegen Kinder aus dem vergangenen Jahr sind ebenfalls besorgniserregend. Bei sexueller Gewalt gegen Kinder ist eine Zunahme von fast 16 Prozent zu verzeichnen, bei Misshandlung eine Zunahme von fast 4 Prozent.

Dazu Stephanie Wohlers, Geschäftsführerin des Kinderschutzbund Stormarn: „Wir sind sehr in Sorge, dass viele Kinder einfach nicht mehr sichtbar sind. Auch wenn sich viele Kinder an unser Sorgentelefon wenden, so wissen wir, dass dies nur die Spitze des Eisbergs ist. Es gibt viele Kinder, die seit Dezember letzten Jahres keinen Tag in der Schule waren, von denen Lehrer kaum etwas mitbekommen und die nicht im Sportverein waren. Die häusliche Isolation begünstigt zudem Gewalt gegen Kinder, weil es niemanden gibt, der diese bemerken könnte.“

Am morgigen Tag der gewaltfreien Erziehung erinnert der Kinderschutzbund an das Recht von Kindern auf ein gewaltfreies Aufwachsen. Und je länger die Kinder im Lockdown leben müssen, desto stärker werden sie in diesem Recht beschnitten.

„Wir unterstützen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ausdrücklich“, so Birgitt Zabel, erste Vorsitzende des Kinderschutzbundes Stormarn, „doch es sollte die höchste Priorität der Politik sein, die Situation für Eltern und Kinder so schnell wie möglich zu entspannen. Das heißt, Kinder sollten unter Berücksichtigung der gegebenen Corona-Schutzmaßnahmen möglichst bald wieder Kita und Schule besuchen dürfen. Es gibt durchaus andere Hebel, an denen man ansetzen könnte, um die Ansteckungszahlen zu verringern. Dies darf nicht nur auf Kosten der Kinder geschehen.“

Kinder werden in ihren Grundrechten gerade massiv beschränkt: sie sind von ihren Spielkameraden isoliert, sie können ihr Recht auf Bildung nicht angemessen wahrnehmen, ihre körperliche Bewegung ist eingeschränkt. Auch dies sind Formen von Gewalt.

Eltern und all diejenigen, die Fragen und Anliegen zum Thema haben und Rat benötigen, können sich an das Elterntelefon wenden unter der Nummer 0800 – 1110550 oder per Telefon an die Kinderhäuser Blauer Elefant in Ahrensburg, Bargteheide und Bad Oldesloe. Auch die Online-Beratung auf bke-elternberatung.de steht allen Eltern offen, die Hilfe suchen.

Der Tag der gewaltfreien Erziehung wird in Deutschland seit 2004 begangen. Er soll daran erinnern, dass die gesamte Gesellschaft die Verantwortung für das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern trägt. Jeder und jede sollte sensibel für das jeweilige Umfeld und die Kinder sein und genau hinschauen, wenn es um ihren Schutz geht. Zudem soll der Tag Eltern ermutigen, ihr Ideal einer gewaltfreien Erziehung Wirklichkeit werden zu lassen.

 

HINTERGRUND

Informationen zum Tag der gewaltfreien Erziehung

Der Kinderschutzbund ruft seit 2004 zum Tag der gewaltfreien Erziehung auf. Der Tag soll Eltern stärken, ihr Ideal einer gewaltfreien Erziehung Wirklichkeit werden zu lassen und daran erinnern, dass die gesamte Gesellschaft die Verantwortung für ein gewaltfreies Aufwachsen aller Kinder trägt.

Immer noch ist Aufklärungsarbeit zu leisten, dass Körperstrafen wie viele andere entwürdigende Erziehungs- und Strafmaßnahmen aus pädagogischer Sicht unsinnig sind und nicht helfen. Strafen zeigen nicht, was das erwünschte positive Verhalten ist. Sie wecken Trotz und Widerstand. Und Kinder lernen das Falsche: dass Stärkere gegenüber Schwächeren Gewalt anwenden dürfen und dass Gewalt ein Mittel ist, um Konflikte zu „lösen“. Wenn diese Lernprozesse in Gang gesetzt werden, hat jeder Schlag gravierende Folgen: Kinder lernen Gewalt. Aggressive Übergriffe und Grenzüberschreitungen, sei es auf dem Spielplatz oder auf dem Schulweg, sind häufig die Folgen.

 

Gewaltverbot gegen Kinder seit dem Jahr 2000

In Deutschland wurde im Jahr 2000 mit dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt der §1631 Abs. 2 wie folgt geändert: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Zeitgleich wurde das Kinder- und Jugendhilfegesetz geändert. Die Kinder- und Jugendhilfe soll seitdem auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können. Daraufhin wurde Eltern vermehrt Hilfe und Unterstützung angeboten, um ohne Klaps oder Ohrfeigen zu erziehen und gewaltfrei Grenzen zu setzen.

 

Elternkurse als Mittel gegen Gewalt

Unser Elternkurs „Starke Eltern -Starke Kinder®“ wird seit dem Jahr 2000 bundesweit in der Arbeit mit Eltern eingesetzt, anfangs unterstützt durch das Bundesfamilienministerium. Hier erfahren Eltern eine praktische Anleitung, wie gegenseitige Achtung und Respekt mit Kindern von klein auf ohne Gewaltanwendung gelingen kann. Unsere Elternkurse, unsere zahlreichen „Frühe Hilfen“ und andere Projekte tragen als präventive, hilfe- und nicht-strafeorientierte Unterstützungs- und Entlastungsangebote dazu bei, dass Eltern ihrer Erziehungsaufgabe gerecht werden können. Wir erreichen Eltern unterschiedlichster Herkunft mit Kindern unterschiedlichster Altersstufen. So gibt es inzwischen Elternkurse für die Altersgruppen 0-3 Jahre und Pubertät, auf Türkisch und auf Russisch und es gibt die Informationsblätter „Ganz Praktisch“ für sogenannte „bildungsferne“ Eltern.

 

Ideal der gewaltfreien Erziehung setzt sich weiter durch

Wir im Kinderschutzbund wissen, dass die meisten Eltern nicht aus Überzeugung schlagen und bestrafen. Oft führen Situationen der Überforderung und des Allein-Gelassen-Seins bei manchen Eltern zu Gewalt, obwohl sie es eigentlich nicht wollen. Denn für über 90% der Eltern ist eine gewaltfreie Erziehung das Ideal. In einer repräsentativen Umfrage in 2016 beantworteten 2.500 Bundesbürger zwischen 14 und 94 Jahren Fragen der Universität Ulm zu ihrer Erziehung. 44,6% aller Befragten fand einen „Klaps auf den Po“ akzeptabel (2005: 76,2%); eine leichte Ohrfeige bewertete 17 % als in Ordnung (2005: 53,7 Prozent). Eine Tracht Prügel mit Blutergüssen oder das Schlagen mit einem Stock sahen in 2016 nur noch 0,1 beziehungsweise 0,4% als vertretbar an (2005: jeweils 1,9 Prozent). (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Der Wandel der Erziehungskultur führt gerade bei Kindern und Jugendlichen zu positiven Befunden. In einer Befragung von 14- bis 16-jährigen Schülerinnen und Schülern im Jahr 2018 in Niedersachsen untersuchte man zwei Gruppen: 1. die völlig gewaltfrei und liebevoll erzogenen Kinder und 2. Die Kinder mit wenig elterlicher Zuwendung und schwerer Gewalt. Die in der Kindheit viel Geschlagenen sind nach eigenen Angaben im Vergleich zu den viel Geliebten 4,5-mal so häufig selbst gewalttätig geworden. Sie haben außerdem 6,5-mal so oft ernsthaft über Suizid nachgedacht. Im Gegensatz dazu berichtete die erste, gewaltfrei erzogene Gruppe sechsmal häufiger von einer sehr hohen Lebenszufriedenheit. Auch die Gewaltkriminalität hat in dieser Altersgruppe seit 2007 um ca. 40 Prozent abgenommen. Ähnliche Trends zeigen sich beim Rückgang des Suizids und des Alkoholismus. (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 22.102018, Autor: Christian Pfeiffer, leitete von 1985 bis 2015 das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen)

 

Verschiedene Ausprägungen der Gewalt gegen Kinder

Wir dürfen aber nicht vergessen: Gewalt hat viele Gesichter. Physische Gewalt mit Körperstrafen wie einem Klaps auf die Finger oder auf den Hintern, Schläge mit Gegenständen, oder Schütteln der Kleinkinder ist verbreitet. Gewalt ist aber auch psychische Gewalt mit Beschimpfungen, Ignorieren, ständigem Kleinmachen, lächerlich machen oder Einschüchterung von Kindern. Doch auch Vernachlässigung und Überbehütung können unter Gewalt gefasst werden.

Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung

Wir brauchen einen umfassenden Perspektivwechsel in der gesamten Gesellschaft, um Kinder wirksam vor physischer und psychischer Gewalt zu schützen: Kinder müssen mit Respekt behandelt und als eigenständige Rechtssubjekte ernst genommen werden. Wir im Kinderschutzbund setzen uns für eine stärkere Berücksichtigung und Beteiligung der Kinder in allen sie betreffenden Entscheidungen ein. Längst überfällig ist daher die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention. Eine solide rechtliche Grundlage wird einen tiefgreifenden Prozess auslösen, der viele Einstellungen in den Köpfen verändern und zu einer kinderfreundlicheren und -gerechteren Gesellschaft führen wird. Erst dann können wir davon sprechen, dass die Kinderrechte in Deutschland verwirklicht sind.

 

Entstehung des Tages der gewaltfreien Erziehung

Der Tag der gewaltfreien Erziehung geht auf die internationale Organisation zur Beendigung körperlicher Gewalt gegen Kinder, EPOCH-worldwide (End Physical Punishment Of Children) zurück. Deren Ländervertretung in den USA rief erstmals am 30. April 1998 zum „International No Hitting Day for Children“ auf. Diese Idee wurde durch diverse andere internationale Organisationen, wie ISPCAN (International Society for the Prevention of Child Abuse and Neglect), weiterverbreitet. Der Tag der gewaltfreien Erziehung wird mittlerweile in vielen Ländern gefeiert, hauptsächlich in angloamerikanischen Ländern wie England und Kanada, aber auch in der Schweiz.

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