Landesregierung schleift das Tariftreue- und Vergabegesetz

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Habersaat: „Tiefschlag der Jamaika-Koalition gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern“

Am 1. August 2013 trat das Tariftreue- und Vergabegesetz Schleswig-Holstein in Kraft. Es enthält Vorgaben, die von den Vergabestellen des Landes, der Kommunen und sonstigen öffentlichen Auftraggebern in Schleswig-Holstein bei der Auftragsvergabe zu beachten sind. Im Hinblick auf eine nachhaltige öffentliche Beschaffung sollen insbesondere ökologische und soziale Aspekte verstärkt Berücksichtigung finden. Zudem bestimmt das Gesetz, dass öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden dürfen, die Ihre Mitarbeiter tarifgerecht entlohnen oder bei fehlendem Tarifvertrag einen Mindestlohn von 9,99 EUR brutto pro Stunde für die Auftragserfüllung zahlen. Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter aus Reinbek: „CDU und FDP war dieses Gesetz von Anfang an ein Dorn im Auge, unter dem Vorwand des Bürokratieabbaus – den ich begrüßen würde – sollen jetzt auch Kerninhalte des Gesetzes geschleift werden.“ Deutlich werde das schon am Namen: Künftig soll das Gesetz nur noch „Vergabegesetz“ heißen. Nach einer Bundesratsinitiative gegen den Mindestlohn sei das der zweite Tiefschlag der Jamaika-Koalition gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Die SPD-Landtagsabgeordneten Heiner Dunckel, Ralf Stegner und Wolfgang Baasch mit dem DGB-Vorsitzenden Uwe Polkaehn (3.v.l.) auf der Demonstration vor dem Landeshaus.

Beschäftigte aus ganz Schleswig-Holstein, darunter Busfahrer aus verschiedenen Landesteilen mit ihren Linienbussen, DGB Nord und das Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI) forderten bei einer Demonstration vor dem Kieler Landtag vor der Sommerpause ein, keine Verschlechterungen am geltenden Tariftreue- und Vergabegesetz zuzulassen. „Faire Löhne, Umweltschutz, die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten entlang der globalen Lieferkette und Aspekte der Tariftreue dürfen nicht unter dem Vorwand des „Bürokratieabbaus“ aus dem Gesetz gekippt werden. Dies würde spürbare Verschlechterungen zur Folge haben, auch in den Verkehrsunternehmen der Städte und Gemeinden“, warnte das Bündnis. Die Gewerkschaften kritisieren zudem das Einfrieren des vergabespezifischen Mindestlohns durch die Landesregierung.

Schätzungsweise rund 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also rund 14 Milliarden Euro, investieren schleswig-holsteinische Gemeinden, Gemeindeverbände, Kreise und das Land nach Schätzungen der Gewerkschaften in Straßen- und Schulbau, in öffentliche Dienstleistungen, wie den Nahverkehr, aber auch in die Ausstattung von Behörden und Ämtern und in vieles mehr. Bislang müssen die öffentliche Vergabestellen zwingend darauf achten, dass Unternehmen Standards einhalten. Dazu gehören Internationale Abkommen wie beispielsweise Vereinbarungen gegen Kinder- und Zwangsarbeit und das Recht sich in Gewerkschaften zu organisieren (ILO Kernarbeitsnormen). Dazu gehören aber auch Kriterien des Umweltschutzes und der Energieeffizienz. Auch das Gebot der Tariftreue, der Gleichbehandlung von Beschäftigten im Betrieb – das auf die Gleichstellung von Leiharbeitnehmern zielt – ist Bestandteil der gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien. Gesetzlich klargestellt ist auch, dass diejenigen Unternehmen bevorzugt werden, die ausbilden und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern. Dies alles soll nun in das Belieben der Kommunen und Auftraggeber gestellt werden.

Habersaat: „Vereinfachung braucht Klarheit und Transparenz. Künftig besteht die Gefahr, dass jede Vergabestelle Standarts nach eigenem Beliegen berücksichtigt.“ Das schleswig-holsteinische Tariftreue- und Vergabegesetz habe in der Vergangenheit weitere Bundesländer darin bestärkt, entsprechende Gesetze auf den Weg zu bringen. Mittlerweile finden sich darunter auch Landesgesetze, die über den schleswig-holsteinischen Rahmen hinaus gehen. Zentral ist dabei die Verbindlichkeit von Betriebsübergängen, d.h. dass jede Ausschreibung – wie es auch das europäische Recht vorsieht – gekoppelt ist an die Zusage an die Beschäftigten, dass ihre Arbeitsverhältnisse auch bei einem neuen Anbieter und Betreiber unverändert fortgelten. Dies verhindert, dass ein Wettbewerb über die Löhne stattfindet: Genau dies ist aber insbesondere in den Verkehrsunternehmen zu befürchten. Weitere entscheidende Vorteile in anderen Landesgesetzen betreffen Verfahren, die Transparenz gewährleisten, Unterstützungsstrukturen für die kommunalen Vergabestellen bereitstellen und vor allem klare Kontrollinstitutionen schaffen.

Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord: „Es ist ein Skandal, dass im Lohnkeller des Westens ausgerechnet das Wort „Tariftreue“ aus der Überschrift des Vergabegesetzes verschwinden soll. Jede Kommune soll nach dem Willen von CDU, Grünen und FDP selber entscheiden, ob sie Produkte aus Kinder- und Zwangsarbeit dulden will, ob Kriterien des Umweltschutzes und der Energieeffizienz gelten, ob Zulieferer Gewerkschaftsrechte respektieren. Das ist Klientelpolitik für Arbeitgeber – fit für die Zukunft wird der Norden so nicht. Wir erwarten, dass die Landtagsabgeordneten diesen Gesetzentwurf deutlich verändern. Umweltschutz und faire Arbeit müssen sein, hier und weltweit.“

Markus Schwarz, Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V.: „„Die Landesregierung schlägt faktisch vor, dass mit dem neuen Vergabegesetz die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten entlang der weltweiten Lieferkette der Beliebigkeit des Einkäufers überlassen wird. Ausbeuterische Kinderarbeit, schlechte Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern oder Umweltzerstörung hierzulande und weltweit werden damit billigend in Kauf genommen – und das mit öffentlichen Steuergeldern. Die Landespolitik widerspricht damit den eigenen und weltweit von den Vereinten Nationen verabschiedeten Zielen für globale Nachhaltigkeit. Ein Expertengremium für Nachhaltige Beschaffung in Schleswig-Holstein hatte zudem noch im Februar eindringlich verbindliche Regelungen im Gesetz und gezielte Unterstützungsmaßnahmen gefordert. Dies ignoriert die Landesregierung und glaubt weiterhin, dass sie ihre globale Verantwortung einfach wegdelegieren kann. Dies ist weder zukunftsweisend, befördert schlechte Arbeitsbedingungen weltweit und lässt Beschaffungsstellen im Land auf sich allein gestellt. Statt schleswig-holsteinische Unternehmen konsequent und flächendeckend zu fördern, die selbstverständlich Menschenrechte in ihrer globalen Lieferkette einhalten, erhalten nun bald Unternehmen Aufträge, die nichts dafür tun müssen, sicherzustellen, dass in den Produktionsstätten weltweit keine Kinder ausgebeutet wurden.“

Karl-Heinz Pliete, ver.di Nord, Fachbereich Verkehr: „Aus Sicht der Kolleginnen und Kollegen hatte bereits das TTG-SH die Schwäche, dass eine Personalübernahme bei Betreiberwechseln nach Ausschreibungen nicht angeordnet wurde, sondern nur eine „Kann-Regelung“ war. Jetzt soll selbst diese Regelung nicht mehr im Gesetz stehen. Dass treibt die Kollegen auf die Straße. Daneben ist die Regelung zur Anwendung der repräsentativen Tarifverträge auf das Entgelt reduziert. Die übrigen Tarifregelungen wie Urlaub, Zuschläge, Schichtlängen und Vergütungen bei geteilten Schichten fallen damit der Jamaika-Koalition zum Opfer. Neben diesen gravierenden Punkten ist der Verzicht auf die Kontrollen zur Einhaltung von gesetzlichen Bestimmungen ein weiterer Aufreger. Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, den Kabinettsentwurf vom Tisch zu nehmen und mit uns über eine Verbesserung des TTG-SH zu verhandeln.“

 

Hintergrund:

ILO Kernarbeitsnormen
Die wesentlichen Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind:

  • Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen (ausgearbeitet in Übereinkommen 87 und 98) – Arbeitnehmer haben das Recht, sich ohne äußere Einmischung in Gewerkschaften zu organisieren. Gewerkschaften haben das Recht, Tarifverhandlungen zu führen und zu streiken.
  • Beseitigung der Zwangsarbeit (Übereinkommen 29 und 105) – Jeder hat das Recht, seine Arbeit frei zu wählen. Zwangsarbeit ist verboten. Diese umfasst alle Arbeitsverhältnisse, in denen die Arbeitsleistung durch Gewalt oder Drohungen erzwungen wird, z. B. Sklaverei, Schuldknechtschaft und Arbeitsverhältnisse, bei denen Arbeitnehmer eingesperrt oder bedroht werden oder ihnen die Ausweispapiere abgenommen werden.
  • Abschaffung der Kinderarbeit (Übereinkommen 138 und 182) – Kinder haben ein Recht auf Schutz vor Ausbeutung. Kinder vor dem Ende der Schulpflicht oder unter 15 Jahren dürfen nicht beschäftigt werden. Gefährliche oder die Entwicklung behindernde Tätigkeiten („schlimmste Formen der Kinderarbeit“) sind für Personen unter 18 Jahren grundsätzlich verboten. Für einfache Tätigkeiten dürfen auch 13-15Jährige beschäftigt werden, wenn die nationalen Gesetze dies erlauben und der Schulbesuch dadurch nicht verhindert wird. Die Abschaffung der Kinderarbeit beinhaltet auch eine Verpflichtung, Alternativen (Schulbesuch, gesichertes Einkommen für die Eltern) zu schaffen.
  • Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf (Übereinkommen 100 und 111) – Jeder hat das Recht auf Gleichbehandlung ohne Ansehen von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Überzeugung, Nation.

 

Quellen:

http://nord.dgb.de/presse/++co++2367446e-6fbe-11e8-ac88-52540088cada

http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl19/drucks/00600/drucksache-19-00624.pdf

 

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