Warum gibt es keinen barrierefreien Bahnhof in meiner Stadt?

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Barrierefrei und Bargteheide

Bargteheide ist eine moderne, aufstrebende und wachsende Kleinstadt mit mittlerweile fast 17.000 Einwohnern vor den Toren Hamburgs. Während es vor einigen Jahrzehnten noch sehr ländlich geprägt war, gehört Bargteheide jetzt zum sogenannten Hamburger Speckgürtel. Immer mehr junge Familien sind in den letzten 20 Jahren nach Bargteheide gezogen, weil die Grundstückspreise und Mieten hier noch erschwinglich sind.


Bahnhof Bargteheide wartet seit Jahren auf barrierefreien Umbau Zur guten Infrastruktur gehört ein 153 Jahre alter Bahnhof. Doch der befindet sich in keinem guten Zustand. Abgesehen von der schlechten Beleuchtung und der fehlenden Überdachung der Bahnsteige, über die die meisten Berufspendler auf ihrem täglichen, rund 30 bis 40 Kilometer weiten Arbeitsweg von und nach Hamburg klagen, ist der 153 Jahre alte Bahnhof nur bedingt barrierefrei und für Rollstuhlfahrer und andere Menschen mit Behinderungen nur sehr schwer oder – zum Beispiel an Gleis 3 – überhaupt nicht nutzbar. Ich engagiere mich seit dem Jahr 2015, dem 150-jährigen Jubiläum des Bahnhofs Bargteheide, für eine barrierefreiere Gestaltung des Bahnhofs, insbesondere der Bahnsteighöhen. Seitdem gibt es eine mittlerweile umfangreiche Korrespondenz mit der Deutschen Bahn, mit NAH.SH, mit den zuständigen Bundes- und Landesministerien sowie mit Politikern aller Parteien hier vor Ort. Die Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein GmbH (NAH.SH) mit Sitz in Kiel organisiert im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein als sogenannter Aufgabenträger den Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Die Bahn- und Busunternehmen sind Partner des Verbundes. Ziel der NAH.SH ist es, mit einem attraktiven Angebot mehr Fahrgäste für den öffentlichen Nahverkehr in Schleswig-Holstein zu gewinnen – zum Teil mit Erfolg.
Die Deutsche Bahn, NAH.SH und das Land Schleswig-Holstein wollen in den alten Bargteheider Bahnhof jetzt aber nicht mehr viel Geld investieren. Denn bis zum Jahr 2024 ist ein großes Projekt geplant: der Bau einer S-Bahnlinie (S4) von Hamburg bis zur Kreisstadt Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein. Die neuen Gleise sollen dabei auch durch Bargteheide führen und in diesem Zusammenhang soll der Bargteheider Bahnhof, einschließlich der Gleisanlagen, komplett umgebaut bzw. neu gebaut werden. Einerseits verständlich, dass man da vorher nicht mehr so viel Geld investieren will. Aber kommt die S4 wirklich? Und wenn ja, wann? Was machen die Menschen mit Behinderungen bis dahin? Ja, Inklusion kostet manchmal Geld Ja, Inklusion kostet manchmal Geld. Aber Inklusion und Barrierefreiheit sind für alle gut: für Kinder, für Eltern mit Kinderwagen, für Fahrradfahrer, für Reisende mit schwerem Gepäck, für ältere Menschen mit Gehhilfen und Rollatoren genauso wie für Rollstuhlfahrerinnen bzw. Rollstuhlfahrer und Menschen mit anderen Beeinträchtigungen. Was viele nicht wissen: Die Deutsche Bahn ist ein international agierender Konzern, dem unter anderem die Tochterunternehmen DB Arriva plc. mit den roten Doppeldecker-Bussen in London und der internationale Logistikkonzern Schenker angehören. Im Geschäftsfeld DB Arriva sind die Personenverkehrsaktivitäten außerhalb Deutschlands gebündelt, mittlerweile für 14 europäische Länder. Allein bei Schenker wurde zuletzt ein Jahresumsatz von über 14 Milliarden Euro verbucht (Alle Angaben: www.deutschebahn.com/ de/konzern/Konzernunternehmen). Der Bau der S4 von Hamburg nach Schleswig-Holstein soll im Vergleich dazu „nur“ eine knappe Milliarde Euro kosten. Wie viel davon die Deutsche Bahn bezahlen wird und wie viel der Steuerzahler, ist noch nicht entschieden. Selbst wenn diese Einigung herbeigeführt ist, können wir in Bargteheide mit der dringend erforderlichen Barrierefreiheit des 153 Jahre alten Bahnhofs und der Bahnsteige nicht bis zur Fertigstellung der S4 im Jahr 2024 warten! Warum schaffen wir es nicht, einen 150 Jahre alten Bahnhof zeitnah barrierefrei umzubauen? Der Bund und die Länder – also auch das Bundesland Schleswig-Holstein – unterstützen die Deutsche Bahn dabei „mit erheblichen Fördersummen“. Jedes Jahr werden 100 Stationen barrierefrei ausgebaut. Aber bisher verfügt erst etwas mehr als die Hälfte der bestehenden Bahnsteige über eine Bahnsteighöhe, die beim Einsatz passender Fahrzeuge einen niveaugleichen Einstieg erlaubt. Da demnach erst rund die Hälfte der Deutschen Bahnsteige barrierefrei ist, wird es also in diesem Tempo rund 25 Jahre dauern, bis auch der letzte Bahnhof in Deutschland barrierefrei ist.
Verstoß gegen UN-Behindertenrechtskonvention Das halte ich für einen gesellschaftspolitischen Skandal und einen eklatanten Verstoß gegen die Artikel 9 und 20 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie gegen Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) und gegen § 4 Behindertengleichstellungsesetz (BGG). Der „Aufgabenträger“, die NAH.SH, hatte mir in einem ausführlichen Telefonat im Sommer 2017 – vor mehr als einem Jahr – angekündigt, dass sie in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bahn planen, wenigstens den Bahnsteig an Gleis 3 am
Bahnhof Bargteheide auf einem Teilstück von circa 30 Metern Länge zu erhöhen, so dass er zukünftig auch für die Nutzung mit Rollstühlen, E-Rollstühlen und Elektromobilen/E-Scootern geeignet ist. Passiert ist seitdem praktisch nichts. Ist es ethisch und moralisch vertretbar, dass der Bahnhof noch mindestens weitere sechs Jahre – bis zur Fertigstellung der S4 – nicht barrierefrei bleibt? Dass die meisten Menschen mit Behinderungen ihn weiterhin nicht nutzen können und damit in ihrer Bewegungsfreiheit und persönlichen Lebensgestaltung stark eingeschränkt sind? Ich meine: nein! Denn Alternativen gibt es kaum. Buslinien verkehren nur selten, insbesondere in den Abendstunden und am Wochenende. Und Rollstuhlfahrer sowie Elektromobile werden von Bussen nur sehr eingeschränkt und ungern mitgenommen. Meine einfache Frage lautet daher: Wann wird der Bahnhof Bargteheide endlich barrierefrei?
Andreas Reigbert ist ehrenamtlich für den BSK tätig und leitet die Kontaktstelle des Verbands im Kreis Stormarn. Der Diplom-Politologe setzt sich vor allem für Barrierefreiheit im ÖPNV ein und ist Mitglied im Sozialverband Schleswig-Holstein.

Quelle: Die Zeitschrift Blickpunkt der Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e.V. 4.2018

3 Kommentare

  1. Das Problem ist seit vielen Jahren bekannt und keiner macht wirklich etwas. Auch bei der neuerlichen Befragung per Internet spielt das Thema barrierefreier Bahnhof natürlich keine Rolle.

    Es hat auch in den vielen Jahren nicht an kräftigen Ausreden gemangelt. Das praktische Beispiel zeigt den Wert der potemkinschen Dörfer und die fadenscheinige sogenannte Mitbestimmung der Bürger. Alles Lüge.

    • So einen Irrsinn liest man ja selten.
      Warum soll man denn für einen Bahnhof, der in den nächsten 5 Jahren neu gebaut wird, jetzt noch einen Cent reinstecken, der sich niemals lohnen wird? Der neue Bahnhof wird doch sicherlich mit allem Schnick-Schnack ausgestattet sein!
      Schließen Sie sich lieber der Pro-S4-Initiative an und denken Sie mal drüber nach, was die ganzen Nein-Sager (zur Elbvertiefung, Olympia, S4) uns wirklich antun! Die kosten uns so viel Zeit und Freude, dass man sich fragen muss, was wir ihnen eigentlich getan haben. Nein-Sager wollen letztlich auch einen Barrierefreien Bahnhof verhindern, weil sie eh gegen alles sind. Meist im Auftrag der Natur, in Wahrheit aus Arroganz und Eigennutz.

      • Sehr geehrte/r Frau/Herr Haskamp, wenn Sie selbst oder eines Ihrer Familienmitglieder behindert wären, dann würden Sie die Forderung nach einem barrierefreien Bahnhof nicht als „Irrsinn“ bezeichnen! Menschen mit Behinderungen warten seit vielen Jahren vergeblich auf den barrierefreien Umbau des Bargteheider Bahnhofs. Da zählt jeder Tag, der ohne Barrierefreiheit ein verlorener Tag ist, und da „lohnt“ sich jeder Cent. Irrsinn ist vielmehr, dass die Deutsche Bahn als deutscher Staatsbetrieb im Ausland Milliardenumsätze macht, aber in Deutschland nicht willens und in der Lage ist, ihre Bahnhöfe möglichst schnell barrierefrei umzubauen! Ich bin weder ein Gegner der S4 (ich bin mit der „alten“ S4 in den sechziger und siebziger Jahren in Hamburg-Rahlstedt aufgewachsen) noch ein Nein-Sager. Aber kommt die S4 wirklich? Ich glaube noch nicht daran. Und wann kommt sie? So lange können die Menschen mit Behinderungen nicht mehr warten. Man müsste nur die Bahnsteige auf einem kurzen Teilstück von 20-30 Meter Länge um 15 cm erhöhen und das Problem wäre gelöst. Die Landesregierung und nah.sh würden das tun, aber die Deutsche Bahn sträubt sich mit Händen und Füßen.

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