Zu 100 Prozent erneuerbare Energien, ist das möglich? Während einer Veranstaltung der Bargteheider Grünen informierten die Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle und Anna Leidreiter vom Hamburger World Future Council über die Wege dorthin. Beide sind Expertinnen in den Themen Klima und Energie.
Das Ziel, den klimaschädlichen Gasausstoß bis zum kommenden Jahr um 40 Prozent zu verringern, werde weit verfehlt, so Nestle: „Wir landen bis dahin nur bei 25,3 Prozent.“ Die Energiewende sei in dieser Legislaturperiode zusammengebrochen. Der Netzausbau schreite inzwischen schneller voran als der Anlagenausbau. Bei der Stromerzeugung seien zwar 40 Prozent Erneuerbare erreicht, auch wenn deren Ausbau jetzt stagniere. Haushalte, Industrie und Verkehr trügen dazu bei, dass diese Klimaziele nicht mehr erreicht würden.

In Schleswig-Holstein gibt es noch ein Moratorium zum Ausbau der Windkraft. Der Regionalplan dafür ist noch in Bearbeitung. „Auch im Bund ist der Ausbau kollabiert“, sagte Nestle. Dabei seien durch die Drosselung schon mehr Arbeitsplätze verlorengegangen, als es im Braunkohlebereich überhaupt gebe.
Die Windkraft erzeuge heute 25 Terrawattstunden Strom. „Wir brauchen einen Zubau von 12 Terrawattstunden bis 2025“, sagte Nestle. Das Ziel könne vor allem durch größere Mühlen erreicht werden. „Die Klimabilanz von Windkraftanlagen ist sehr positiv.“ Auch der Infraschall sei geringer als aus vielen anderen Quellen wie einer Ölheizung.
Die Stromerzeugungslücke bei Windflaute und an gleichzeitig sonnenlosen Tagen könne durch Wasserspeicher in Norwegen, Bioenergie und Gaskraftwerke geschlossen werden. Erneuerbare Gase wie Wasserstoff könnten hier eingesetzt werden. Zur Erzeugung könnten die Überschüsse aus der Windenergie genutzt werden, die zurzeit noch abgeregelt werden.
Die Entschädigung für die Betreiber bei Abregelung würden oft kritisiert, so Nestle. Sie hätten paradoxerweise aber maßgeblich zum Ausbau der Windkraft beigetragen: „Dadurch hatten die Banken Sicherheiten bei der Finanzierung.“ Sonst wären erhebliche Risikoprämien und Aufschläge auf die Kredite fällig geworden. 97,5 Prozent des Windstroms könnten die Netze heute schon aufnehmen: „In Zukunft sollten wir auch die restlichen 2,5 Prozent nutzen.“
Das Klimaziel von nicht mehr als 1,5 Grad Erwärmung sei eine Illusion, sagte Leidreiter, denn schon heute betrage sie 1,4 Grad: „Um die Erwärmung wenigstens auf 1,75 Grad zu begrenzen, müssen wir bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden.“ Eigene Stadtwerke und Bürgergenossenschaften könnten dabei helfen. Auch der Strombezug mit einer Neuanlagenquote könne sich rechnen: „Denn für effizientere Neuanlagen werden heute geringere Investitionen fällig, der Strompreis könnte damit sogar sinken.“
Viele Teilnehmer*innen fordeten einen „Kümmerer“ in der Verwaltung, der oder die sich ausschließlich mit dem Klimawandel und dem Ausbau der Erneuerbaren beschäftigt. Gefragt seien jetzt auch private Initiativen zum Ausbau der Photovoltaik, so Leidreiter. Auch Gewerbehallen seien gut geeignet. „Auf meinem Carport erzeuge ich mehr Strom, als wir im ganzen Jahr verbrauchen“, sagte ein Teilnehmer.